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AutorenbildEleni Ioannidou

Was Bertha von Suttner über das "Festspiel" von Hauptmann im Jahr 1913 schrieb

Aktualisiert: 28. Dez. 2024

Die große Pazifistin und Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner ("Die Waffen nieder") hat eine Kritik zum „Festspiel in deutschen Reimen“ geschrieben, dem Theaterstück von Gerhart Hauptmann/Max Reinhardt, das 1913 in der Jahrhunderthalle in Breslau uraufgeführt wurde. Wir erinnern uns dass Bertha von Suttner ist im Juni 1914 gestorben, und hat nicht erlebt wie der Krieg ausgebrochen ist. Wir denken oft, dass das Ausscheiden der Pazifisten aus der Welt zu einer Zunahme kriegerischer Stimmen geführt hat. Pazifisten sind da, um die große Katastrophe des Krieges zu verhindern. Gesegnet seien die Schritte der Friedensboten: sie müssen hier bleiben und man muss sie schützen und ehren.

Wir haben das „Festspiel“ 2018 im Rahmen des Europäischen Jahres "Sharing Heritage" wieder entdeckt. Wir haben es mit Unterstützung des INTERREG-Projekts Polen-Sachsen ins Polnische übersetzt. Der große Wert dieses Werks war für uns offensichtlich. Ein pazifistisches Werk, das als Warnung ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs geschrieben wurde und leider nicht genügend anerkannt wurde. Auch unsere Wiederentdeckung 100 Jahre später wurde nicht genug gewürdigt. Uns wurde sogar empfohlen das Werk in Ruhe zu lassen, weil es angeblich keine "gute Literatur" sei. Wir sind sehr glücklich dass wir es trotzdem taten.

Die Entdeckung des Aufsatzes zum "Festspiel" von Bertha von Suttner, den wir heute online fanden, war eine wunderbare Überraschung und eine Bestätigung dass wir richtig lagen. Die größten Geister verstehen und erkennen die Werke von großen Bedeutung. Das „Festspiel in deutschen Reimen“ war und ist ein solches Werk.


Die Friedens-Warte. 1913 (Berliner Wissenschaftsverlag)


Gerhart Hauptmanns Festspiel

von Bertha von Suttner, Wien


Als ich im vorigen Februar in Breslau war, wurden mir die noch unvollendeten Jahr-hundert-Ausstellungsräume gezeigt. Die großartige Kuppelrotunde stand schon unter Dach.

Mein Führer erzählte: Hier wird von Reinhardt ein Festspiel vorgeführt werden, das Gerhart Hauptmann für diesen Anlaß schrieb. Er fügte hinzu, daß. der Dichter sich lange gesträubt, endlich aber doch eingewilligt habe.

Die Frau unseres Justizrats Heilberg stand neben mir. „Sie werden sehen," sagte ich zu ihr, „an dem Stücke werden wir Freude erleben; Hauptmann wird sicher den Friedens-Gedanken in seine Dichtung verweben."

Wir Pazifisten sind durch das Festspiel nicht enttäuscht worden; desto enttäuschter aber waren 230000 Veteranen und ein von Reitergeist beseelter Prinz.

Was nun folgte, ist allgemein bekannt, denn es hat ungeheuer Lärm gemacht. Das Stück wurde abgesetzt und Proteste erhoben sich von allen Seiten - teils gegen das Stück, teils gegen die Absetzung. Zu den zahllosen lobenden und tadelnden

Kritiken, die über die Dichtung erschienen sind, soll in diesen Blättern keine neue hinzugefügt werden; nicht vom literarisch-dramatischen Standpunkt soll sie betrachtet werden, sondern im Hinblick auf jene Zeit-Erscheinung, die interessiert, gerade uns am höchsten nämlich den Kampf zwischen kriegerischer und pazifistischer Weltanschauung, in welchem Kampfe die Festspiel-Angelegenheit eine hitzige Episode darstellt.

Hauptmann hat den Frieden verherrlicht: das war sein Hauptverbrechen. Doch das wurde von den Gegnern nicht hervorgehoben. Sie machten dem Autor den negativen Vorwurf, daß er keine Verherrlichung des Krieges brachte, keine patriotisch-begeisterten Töne anschlug, daß er statt der Helden

vaterländischen die französische Revolution und den französischen Imperator in den Vordergrund stellte, daß er damals regierenden Preußenkönig gar nicht vorführte, und daß nirgends das in militärischen Poesien obligate Hurra! und Heil ertönt. Zudem wird die Marionettenform als eine Profanierung, die absichtlich derben Knüttelverse als dichterisches Manko, das ganze Stück als eine dem Wunsch des Bestellers widersprechende. Aber das, worüber die entrüsteten Gegner schimpften, ist nicht das, was sie eigentlich autgebracht hat - nämlich die von hohem dichterischen Schwung, getragenen Hymnen auf die Welt-friedensidee.

Davon schweigt die feindliche Kritik. Aber das ist es, was den Ultrapatrioten besonders hassenswert und sogar gefährlich erscheint. Das mußte verboten werden.

Das ist es jedoch, was die Anhänger der neuen "Weltanschauung", was die Vorwärts-blicker unter den Zeitgenossen aus dieser Dichtung hervorholen müssen, um ihre Zukunftshoffnungen daran zu stärken, um sich daran zu freuen, daß ein kühner Dichtergeist seherisch die Wege weist, auf denen die emporstrebende Menschheit aus den Kämpfen der Vergangenheit - deren Größe ja nicht geleugnet wird — zu höheren und größeren Zukunftszielen aufsteigt:

Athene Deutschland spricht (wahrend eine leise Sphärenmusik durchsichtiger Klänge ertont):


Welch reine Töne, neue Klänge höre ich nun,

Da sich aus blut'ger Nacht der neue Tag erhebt.

------- Hoch hinaus mich weitend in des lichten Aethers andres Bad.

Und alldurchdringend, mich durchdringend allzugleich,

erkenn' ich meines Daseins, meiner Waffen Sinn:

Die Tat des Friedens ist es, nicht die Tat des Kriegs,

Dic Wohltat ist es! Nimmermehr die Missetat!

Was andres aber ist des Krieges nackter Mord.

So ruf' ich euch denn auf, thr eines anderen Krieges

Krieger! Ihr, nicht todbringend, Leben Schaffende.

Des heiligen Werkzeugs goldne Waffe schenkt' ich euch,

die volle Frucht aus steinigem Grund zu schöpfen, und

ich machte euch zu Ringern mit dem Wahn. Ich hob

des blinden Hasses Binde euch vom Auge los.

Ich machte euch zu Liebenden. Ich wies euch an,

Pfade zu treten mit des Friedens lieblichen; bekränzten Füßen. Breite Straßen lehrt' ich euch

auswerfen für der Liebe Bruderschritt...


Nach und nach müssen aus bedeutenden Schriften erst die beschwingten Worte und Sätze herausgesucht und hinausgestreut werden. Solcher Worte findet sich eine große Zahl in diesem Festspiel. „Die breiten Straßen für der Liebe Bruderschritt", - das dürfte noch oft zitiert werden. Und für die Zukunftskriege, für die Pazifisten sich wappnen müssen, welch' prächtiges Regiment: „Die Krieger mit dem "Wahn."

Die folgenden Verse, die Hauptmann einer Prophetin in den Mund legt, die geben unseren Schmerzen über die Gegenwart und unseren Erwartungen für die Zukunft gar beredten Ausdruck.


,Europa, dem' Christengotte untertan!

Du, seit der Griechengötter Flucht mit Nacht bedeckt.

In deines Schicksals Abgrund blick' ich tief hinein,

und fernerhin vorsehend deiner Zukunft Weg,

Du zucktest oft und zuckst auch jetzt in Blut und Schmerzen auf,

geich einer Kreißenden, denn immer ist das Kind noch nicht geboren,

das du seit zweitausend Jahren schon geboren wähnst,

Europa, du noch immer Schwangere mit der Frucht des Zeus

---------------

Noch immer bist du nicht entbunden und die Last

des ungebornen Gottessohnes trägst du noch.

Noch nicht geboren ist Europas Friedensfürst

----------------

Allein, ich sehe dämmern fern des Friedens Tag.

So sehr die giftige Pestilenz auch heute noch

und finstrer Wahnsinn toben in Europas Blut."


Finsterer Wahnsin: jawohl - wir nennen es Rüstungswahnsinn. Und wahrlich, in Blut und Schmerz zuckt das unselige Europa.

Aber Hauptmann, vorwärtsblickend, sieht das zukünftige Deutschland als eine Lichtgestalt „hoch überm finstern Wahn des Krieges, hoch überm laumel blutigen Sieges". Sehr oft kehren in dem Festspiel solche Verdammungen des Krieges wieder, so z. B., als historischen Marionetten vorgeführt werden:


"Ihr lacht? Euch wird das Lachen vergehen,

bekommt ihr erst ihre Taten zu sehen.

Sie erscheinen steif, doch sind sie beweglich,

und ganz unsäglich unverträglich.

Ihr werdet euren Augen nicht trauen, wie sie

einander erschießen, erstechen und über die Köpfe hauen,

Sich würgen, morden und massakrieren." ---


Begreiflicherweise kann eine derartige Sprache nicht solchen gefallen, die von dem Festspiel die Erwartung hegten, daß es die Kriege, zu deren Erinnerung die ganze Jahrhundertfeier stattfindet, nicht rückhaltlos besingt und belobt. Und nun wurde dem Dichter der Vorwurf gemacht, daß, wenn er schon die ihm gestellte Aufgabe nicht lösen kann, weil sie seinen Gesinnungen widerstrebt, er sie nicht zurückgewiesen habe.

Anfänglich zögerte er auch. Da aber - so denke ich mir den innern Vorgang - stieg in ihm der Gedanke auf, daß hier eine einzig große Gelegenheit geboten war, den neuen Geist, de nicht nur ihn, sondern schon einen bedeutenden Teil der Mitwelt erfüllt, weihevollen, eindringlichen Ausdruck zu geben, und empfand nun das Untemehmen des gegebenen Auftrages beinahe als Pflicht.

Was war von ihm verlangt worden?

Daß er in einem auf Massenwirkung berechneten Schaustück den Freiheitsgeist besinge, der vor hundert Jahren die deutsche Nation aus Schmach und Knechtschaft aufrüttelte und sie zur Abschüttelung eines verhaßten Joches begeisterte. Das konnte er tun und tat es auch. Er brauchte darum nicht den Krieg als solchen zu verherrlichen und zur Nachahmung für die Zukunft hinzustellen.

Denn die Zukunft birgt ganz andere Notwendigkeiten und andere Ideale.

Diese Ideale herauf zubeschwören, ihre kommenden Siege vorherzusagen, hatte er ein Recht, eine stolze Freudenbotschaft konnte er damit seinem Vaterlande und der Mitwelt bringen. Er brauchte nur die ganze Wahrheit offenbaren, die Wahrheit seiner Ueberzeugung und die der Geschichte. Auf dieser Basis - der

Treue zu sich' selbst und dem Respekt der Tatsachen — ist man sicher, ein Werk zu

schaffen, das wohl manche ärgern kann, das aber niemand beschuldigen darf, ein Verrat an der übernommenen Aufgabe zu sein. Mit seinem Gewissen im reinen, baute nun der Dichter das Gerüst seines Festspiels auf. Zuerst die Ereignisse, die das Erwachen des Geistes der deutschen Freiheitskriege bedingten; dann die ehrerbietige Würdigung der von diesem Geiste inspirierten Opfertaten;

zuletzt die Wandlung und Verklarung der diesen Geist personifizierenden Deutschland-Athene. Diese drei Phasen folgen einander in logischer Klarheit.

Zuerst die französische Revolution mit ihrem rasenden Pöbel, gefolgt vom Siegeslauf Napoleons, den der Trommler Mors begleitet; dann die Erhebung Deutschlands mit ihren geistigen und kriegerischen Helden, ihren Freiherrn von Stein, Scharnhorst, Fichte, Jahn, Blücher - und die hochaufgerichtete Gestalt

Athene-Deutschland spricht:


Ihr habt mich gewappnet, das ist gut!

Erhoben zur Priesterin und Göttin.

Ich grüß´euch unterm Goldhut,

Ihr hochgesinnten, mit hohem Sinne:

junge Männer, Jünglinge, Knaben,

die mich geweckt und gewappnet haben,

Leuchtende Jugend, unversiegliche Kraft,

Jünger der Kunst und Wissenschaft,

Denker, Dichter, süßtönige Sänger.

Des neuen Lebens Ursächer und Anfänger:

Tretet heran, Jungmann an Jungmann,

Daß ich einen jeden von euch zu Sieg oder Tod weihen kann.

Euren lorbeerumrankten Gedanken entstiegen,

Muß ich eure Nacken zum Opfer umbiegen.

Ihr habt mir gegeben das neue Leben,

ich muß euch dafür dem Tod hingeben;

ich gebiete euch dafür dreierlei:

Macht Deutschland von der Fremdherrschaft frei!

Sorget, daß Deutschland einig sei!

Und seid selber frei, seid selber frei!


Zuletzt kommt die dritte Phase. Die Kriege sind vorbei. Athene-Deutschland steht auf der höchsten Bühne. Ihr Helm, Schild und Speer verbreiten immer stärker allgemeines Licht. Hinter ihr wird die Fassade eines gothischen Doms sichtbar.

In der Orchestra erscheint ein schön gegliederter Zug, der alles umfaßt, was der Friede an Tätigkeiten und Segnungen enthält. Mit Bannern, Fahnen und bekranzten

Werkzeugen schreitet der Handwerker neben dem Landmann, der Adlige

neben dem Bürger. Schöne Frauen tragen Fruchtkörbe, Getreidegarben usw.

Gekrönt wird der Zug durch große Männer aller Zeitalter; in porträtähnlichen Erscheinungen sieht man Künstler, Dichter, Forscher, Philosophen, Musiker und Erfinder. Auch einige Herrscher, die sich um die echte Kultur ihrer Völker verdient gemacht haben. Bekränzte Namenstafeln werden hinter den auszuzeichnenden Persönlichkeiten getragen. Und wieder spricht die Göttin:


Dort wo ich bin und wo ihr zuströmt, ist das Licht,

wir nie Getrennten, stets Geeinten, wissen nichts

von Krieg. Und also wohnt der Friede unter uns.

Uns trennen Sprachen, trennen Strom und Meer nicht.

Nicht trennen Götter, noch der unbekannte Gott

die, denen aller Menschen Heil am Herzen liegt.


Die Apotheose des Festspiels bildet also der Völkerfrieden; daß dieser nicht etwa schon unwidersprochen ist, das zeigt die letzte Szene. Blücher tritt auf, damit symbolisiert der Dichter jene Militär- und Kriegsparteien, Jene artikelschreibenden und redehaltenden Generale, die heute noch weiter den Friedensgedanken bekämpfen.

Blücher (der säbelklirrend die Treppe heraufkommt):


"Was war das für ein Friedensbimmelbammeln?

Ich lebe noch! Wir jeh'n nich' nach Jedsemane!

Trompete! Vorwärts! Blast zum Sammeln."


Aber der Direktor legt auch diese Puppe in die Kiste:


"Du wackerer Graukopf lieg an deinem Ort.

Was leben bleiben soll, das sei dein Wort.

Ich schenk es Deutschland, brenn es in sein Herz —

nicht deine Kriegslust, aber - dein „Vorwärts",


"Vorwärts", ist also das Schlußwort des Festspiels, und ist zugleich sein Leitwort.

Der Dichter hat, um der Feier gerecht zu werden, jene Episode der vaterländischen Geschichte gepriesen, der die Feier galt - aber indem er der Vergangenheit diesen Tribut zollte, wies er auf die Zukunft hin, in welcher er sein Deutschland voranschreiten sehen will: vorwärts, höhenwärts, glückwärts.





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